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Channel: Ich. Heute. 10 vor 8. » Vater
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Nicht mehr bei Trost

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Unsere Väter erschließen sich unsere Reiseziele, und unsere Vaterfiguren werden verschoben. Wäre der Unruhestand doch ein matter Rentnerkalauer geblieben anstatt unsere Haltlosigkeit zu begründen.

Wahre Liebe wartet© koeln. deWahre Liebe wartet

Ferdi und Svenja lernten sich im Juli 2011 in Berlin am Stehtisch einer Bäckerei an der Warschauer Brücke kennen. Ferdi übernachtete anlässlich einer Party seiner Tochter im Hotel Michelberger nebenan. Weil er ein sparsamer Mensch ist und ihm das Frühstück dort unverhältnismäßig teuer schien, wich er auf das Stehcafé aus. Seither sind Ferdi und Svenja ein Paar. Abwechselnd besucht sie ihn in seiner Heimat Köln und er sie an ihrem Wohnort Berlin-Lichtenberg. Sie geht arbeiten, er schaut nach der Katze und der Welt und der Welt am Sonntag. Sie überlegen zusammenzuziehen, hier oder dort. Mal schau’n. Nichts übereilen, oder, wie Ferdi zu sagen pflegt: Nur keine jüdische Hast.

Ferdi ist mein Vater. 1945 hat er in den letzten Kriegstagen das linke Bein verloren. Sein Leben verlief beständig turbulent, auch während der Reihenhausphase in Köln-Longerich, die von diversen Chefposten im bundesdeutschen Krankenhauswesen flankiert wurde. Nicht alle Turbulenzen trugen Frauennamen, aber etliche. Im Kölner Reihenhaus spielten wir Familie, jetzt spielen wir tolerant. Vielleicht waren oder sind wir aber auch beides. Mein Vater ist 87 Jahre, Svenja 29 Jahre alt. Er ist einbeinig und sparsam, sie ist freundlich und fröhlich. Beide sind verliebt und gemeinsam sind sie glücklich. Bisweilen kommen sie mich besuchen, mal in Köln, mal in Berlin, denn wie das ungleiche Paar lebe auch ich in beiden Städten. Heimat ist wie Alter ein aus der Zeit gefallenes Konzept.

Willy sitzt verloren auf seiner Kölner Bank an der Schnittstelle Ehren- und Breite Straße und streckt den rechten Arm ins Ungefähre. Willys Leben verlief in geregelter Bahn: Vormittags Büroarbeit, mittags Essen bei Gattin Gerda in Köln Lövenich, nachmittags Probe und danach ein bis zwei Vorstellungen in seinem Millowitsch Theater an der Aachener Straße 5. Tausende Vorstellungen waren es, meistgespielt „Der Etappenhase“. Jeder Kölner kannte ihn und gefühlt kannte er uns alle zurück. Einmal hieß es am Set eines dummen Filmes „Bring mal die Klamotten ins Millowitsch!“ und ich lief, Kostüme über dem Arm, ins Millowitsch, wo man mich nach „hinten durch“ verwies. Hinten durch saß Willy in der Garderobe und strahlte mich an. “Das ist aber lieb, willst Du heute Abend in die Vorstellung kommen?“ Ich sagte ja, wie meistens, und langweilte mich durch den „Etappenhasen“.

Wenn irgendein Kölner Geschehen Gewicht brauchte, wuchtete man Willy an den Ort ebendieses Geschehens und fortan war klar, dass hier keine Bäume zu fällen und dort keine Ausländer zu diskriminieren waren, wenn und solange Willy dagegen war. Als mit dem Kölner Cinedom das erste innerstädtische Multiplex-Kino eingeweiht wurde, stand außer Frage, dass der hochbetagte Willy Star-und Ehrengast zu sein hatte. In der V.I.P.-Lounge machte ihm das Aufstehen Mühe, der schwere Mann zwang mich beinahe in die Knie, als er sich bei jedem Aufstehen auf mich stützte. In Ermangelung sonstiger Themen fragte ich ihn nach seinem Lieblingsfilm. Er sagte: „Pretty Woman“.

Willy Millowitsch starb, als ich meine erste Berliner Wohnung mietete und mein Vater eine Chinesin heiratete, die er in Domnähe auf der Straße kennengelernt hatte. Zehn Jahre vor seinem Tod hatte Willy, 79jährig, auf dem Weg zu seinem Lövenicher Mittagessen einen Jungen beinahe totgefahren. Das Gericht fand eine „kölsche Lösung“. Auch die genauen Arrangements, die er während der Nazizeit getroffen hatte, blieben zu seinen Lebzeiten ominös. Willy starb, bevor ein neues, elektronisches Jahrtausend sich an Demontagen und Enthüllungen verlustierte, bevor mein Kölner Büro an die Aachener Straße, direkt gegenüber vom “Millowitsch“ wanderte und mein Vater sich recht zügig von der Chinesin scheiden ließ.

Es gibt Zustände, für die es viele Namen und noch mehr Therapievorschläge gibt. Als sie auch mich einmal erfassten, lief ich eines verlorenen Morgens ins Kölner Blaue, Ehren- und Breitenstraße herunter in die sonst bierseligen Touristen vorbehaltene Altstadt und landete am Eisenplatz vorm Hänneschen Theater. Und da saß er, der Willy von „hinten durch“ und aus dem Cinedom, von dessen aufgebahrten Leichnam ich 1999 an der Aachener Straße Abschied genommen hatte. Diskret versteckt und leicht überlebensgroß saß der Kölner Ehrenbürger, Tünnes und Schäl in Rufweite, auf seiner Bank und streckte einladend seinen rechten Arm aus. Nach mir und allen, die ihn brauchten. Ich setzte mich neben ihn, schmiegte mich in seinen Arm und alles, wirklich alles war gut.

Wer rastet, der rostet© koeln.deWer rastet, der rostet

Vor ein paar Monaten hat man in Köln, wo die guten Ideen seit Längerem bereits ausgegangen sind, den 600 kg schweren bronzenen Willy von seinem Ruhesitz in der Altstadt ins Einkaufszentrum zwischen Breite- und Ehrenstraße gewuchtet. Seither sitzt er dort, unbeachtet von hungrigen Shoppern, der alte Willy am neuen Willy Millowitsch Platz. Zu seiner Linken der Esprit Shop, der das Programmkino auf der Ehrenstraße ersetzt hat und ein paar hundert Meter weiter sein Theater, vor dem allabendlich Rollatoralarm herrscht. Vor seiner Nase eine Currywurst-Bude, an der mittags bärtige Geschäftsleute Schlange stehen, als habe man, wie in den Nachkriegsjahren, keine andere Wahl zur Nahrungserlangung, als sich in Geduld zu üben. Schlange stehen ohne Not allerdings ist längst – woher sollte Willy das wissen – wie Bärte ohne Tradition, ebenso Ausdruck herrschenden Lifestyles wie das Berliner Zweitleben der Pendler, die sich, zur Rechten von Willys immer noch so hoffnungsvoll wie längst unbeachtet ausgestrecktem Arm, turnusmäßig am Kölner Hauptbahnhof versammeln. Um, wie ich, ins neu eröffnete Berliner Büro an der Warschauer Brücke oder, wie mein Vater, zur für seine Verhältnisse ziemlich beständigen Liebe nach Lichtenberg zu fahren und die Lustkreise zu schließen.

von melbafendel erschienen in Ich. Heute. 10 vor 8. ein Blog von FAZ.NET.


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